Ein Blogbeitrag unseres stellv. Landesvorsitzenden Marc

Wenn Menschen, die eine gleiche Erziehung genossen haben wie ich, die gleichen Worte sprechen wie ich und gleiche Bücher, gleiche Musik, gleiche Gemälde lieben wie ich – wenn diese Menschen keineswegs gesichert sind vor der Möglichkeit, Unmenschen zu werden und Dinge zu tun, die wir den Menschen unserer Zeit … vorher nicht hätten zutrauen können, woher nehme ich die Zuversicht, dass ich davor gesichert sei? (Max Frisch)

Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Der Anblick von über 1200 abgemagerten, halbtoten Menschen übertraf auf einen Schlag noch die schlimmsten Erwartungen, die sich die internationale Staatengemeinschaft vom Ausmaß der industriellen Vernichtung gemacht hatte. Die Befreiung von Auschwitz markiert den Anfang vom Ende des systematischen Massenmordes an über 6,3 Millionen Menschen.

Für einen Teil der überlebenden Inhaftierten kam die Rettung dennoch zu spät. Bereits ab Herbst 1944 begann die SS Hunderttausende KZ-Häftlinge in Todesmärschen und Todeszügen nach Westen zu zwingen. Viele, die den Alptraum Auschwitz zunächst überlebten, starben in endlosen Kolonnen und überfüllten Lagern. Auf diese Weise trieben die Deutschen noch in den letzten Monaten des Krieges über 200.000 Menschen, vor aller Augen, brutal in den Tod.

Das KZ Buchenwald bei Weimar gehörte zu den größten Konzentrationslagern auf deutschem Boden. Zwischen Juli 1937 und April 1945 wurden dort 266.000 Menschen inhaftiert, 56.000 Menschen kamen ums Leben. Angesichts der nahenden US-Truppen Anfang April begann die SS am 07. April mit der Räumung des Lagers. Zwischen 7. und 10. April starben bei Todesmärschen etwa 13.000 Buchenwald-Häftlinge durch die Strapazen oder gezielte Tötungen. Als die SS samt Gefolgsmannschaft am 11. April vor der US-Armee floh, befreiten sich die 21.000 bis dahin noch inhaftierten Menschen selbst.

Schon kurz darauf begann die US-Armee damit, die Bürger*innen der Stadt Weimar mit dem Schrecken des Konzentrationslagers zu konfrontieren. Unbekannt waren der Bevölkerung die Konzentrationslager nicht. Die deutsche Gesellschaft akzeptierte die Lager, hielt sie mehrheitlich sogar für notwendig und gerechtfertigt. In Weimar war die SS bestens in das alltägliche Leben integriert, die regionale Wirtschaft profitiert durch die Belieferung des Lagers und die Zwangsarbeit der Inhaftierten. Möglich, dass die deutsche Gesellschaft ihre Augen bewusst vor dem Grauen verschloss, das sie Tag für Tag unterstütze. Möglich ist aber auch, dass sie sich, wie Hannah Arendt über Eichmann schreibt, schlicht nicht vorstellen konnten, was sie in ihrem beflissentlichen Profitstreben eigentlich anstellten.

So oder so begann mit dem Ende des Krieges eine jahrzehntelange Geschichte der Relativierung und Schuldzurückweisung. Bereits kurz nach der Gründung der Bundesrepublik wurden die ersten Stimmen laut, die einen Schlussstrich unter der Vergangenheitsbewältigung ziehen wollten. Und das obwohl die Entnazifizierung noch nicht einmal begonnen hatte. Noch in der Mitte der 1960er ignorierte die Mehrheit der Deutschen die nationalsozialistischen Verbrechen. Die vom hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer maßgeblich vorangebrachten Auschwitzprozesse waren gerade einmal 40% der westdeutschen Bevölkerung bekannt, trotz einer ausführlichen und umfassenden Medienberichterstattung. Von den wenigen, die darüber wussten, wollte über ein Drittel die Vergangenheit lieber ruhen lassen.

In der ehemaligen DDR war der Antifaschismus Staatsdoktrin. Aufarbeitung folgte daraus aber nicht, vielmehr instrumentalisierte die DDR den antifaschistischen Widerstandskampf zur eigenen Profilierung und um sich als das „bessere“ Deutschland von der BRD als angeblichen Nachfolgerstaat des Faschismus abzugrenzen. Zwar wurden auch in der sowjetischen Besatzungszonen Entnazifierungen durchgeführt, mit dem Austausch der politischen Elite betrachte man aber die nationalsozialistische Vergangenheit als erledigt.

Wurde unmittelbar nach dem Krieg noch aller Opfergruppen gleichermaßen gedacht, unterschied die SED-Spitze schnell zwischen den Opfern des Faschismus und den Kämpfern gegen den Faschismus. Vor allem Euthanasie-Opfer, Sinti und Roma, soziale Randgruppen, Homosexuelle und andere Minderheiten verschwanden größtenteils aus dem ostdeutschen Gedächtnis. Forderungen nach Entschädigung und Wiedergutmachung lehnte die DDR bis in die 1970er Jahre ab, und auch dann blieb aktiver Widerstand ein wichtiges Kriterium, nach denen die Opfer des Faschismus eingestuft wurden.

Der Fall Paul Merker zeigt eindrücklich die Doppelzüngigkeit des DDR-Regimes und die Kontinuität des Antisemitismus. Als Merker sich für die Gründung eines jüdischen Staates und Entschädigungszahlung an Überlebende des Holocaust ausgesprochen hatte, wurde er als „zionistischer Agent“ beschuldigt, der „deutsches Volksvermögen“ ausplündere und zugunsten amerikanischer und „jüdischer Monokapitalisten“ verschob. Das Oberste Gericht der DDR verurteilte ihn zu 8 Jahren Haft.

Erst die letzte und erstmals frei gewählte Volkskammer der DDR gab die Mitverantwortung der DDR offen zu und bat um Verzeihung für die „Heuchelei und Feindseligkeit der offiziellen DDR-Politik gegenüber dem Staat Israel und für die Verfolgung und Entwürdigung jüdischer Mitbürger auch nach 1945 in unserem Lande.“

Heute, über 70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, sollte eine umfassende und selbstkritische Erinnerungskultur zur Normalität gehören. Seit 1996 gedenken wir jährlich am 27. Januar der Millionen Menschen, die von Deutschen verfolgt, gequält und ermordet wurden. Für die Mehrheit der deutschen Gesellschaft ist es mittlerweile selbstverständlich, sich immer wieder neu kritisch mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen und Verantwortung für die begangenen Verbrechen zu übernehmen. Das ist sehr zu begrüßen.

Die Normalität des Gedenkens darf jedoch nicht dazu verleiten, sich in falschen Sicherheiten zu wiegen. Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist ein aktiver Prozess. Die Forderung, dass Auschwitz nicht mehr sei, muss jeden Tag aufs Neue formuliert werden. Es gibt keine Automatismen, die uns davon abhalten die Schrecken der Vergangenheit zu wiederholen. Es gibt keine Einsicht, die uns vor einem zweiten Auschwitz feit, keine moralische Reife, die es überflüssig machen würde immer wieder neu zu mahnen.

Kein Vergessen! ist auch heute das Gebot der Stunde. Schlussstrichdebatten sind so alt wie die Vergangenheitsbewältigung selbst. Dass sie erneut aufgegriffen werden, ist eine ernste Gefahr. Rechte Parteien, die beinahe täglich die Grenze des Sagbaren ins Unsägliche verschieben, holen Auschwitz in den Bereich des Möglichen zurück. Mehr denn je sind wir gefragt, uns dem aktiv entgegenzustellen. Mehr denn je ist es an uns, jeglichen Geschichtsrevisionismus zurückzuweisen und gemeinsam dafür zu kämpfen, dass Auschwitz nicht mehr sei. Kämpfen wir zusammen!

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