Eine neue Erzählung: Zeit für einen linken Gesellschaftsentwurf! Zeit für die neue Sozialdemokratie!

Die europäische Sozialdemokratie ist in der Krise. In Frankreich steht die Parti Socialiste nach den Wahlen vor dem Bankrott, der Schock über die Ergebnisse der Bundestagswahl sitzt bei uns noch tief und insbesondere in Thüringen taumelt die SPD der Bedeutungslosigkeit entgegen. Die Bundestagswahl 2017 ist Geschichte und mit ihr muss es auch der Kurs der SPD der letzten Jahre sein. An den Ergebnissen gibt es nichts schön zu reden. Vor uns liegt nun die Aufgabe uns in der Opposition zu erneuern.

Die Erfüllung dieser Aufgabe, die unsere große und einzige Chance ist, die SPD zu retten, liegt jetzt nicht allein in der Hand unseres politischen Spitzenpersonals, das einen großen Teil der Verantwortung für das historische Scheitern trägt. Vielmehr ist es die Aufgabe eines jeden Mitglieds daran mitzuwirken. Nur gemeinsam schaffen wir es die Ideen, Hoffnungen und Visionen, auf denen unsere Partei gegründet wurde, in die Gegenwart zu tragen um die Zukunft zu gestalten. Mit der alten Geschichte der Veränderung durch einzelne Reformen haben wir es nicht geschafft, die Menschen von uns zu überzeugen. Es kann nicht mehr darum gehen, nur durch Einzelmaßnahmen Ausbesserungen in einzelnen Teilbereichen zu schaffen. Wir müssen das große Ganze angehen. Dazu brauchen wir eine neue sinnstiftende Erzählung, die unsere Werte und die Seele der Partei verdeutlicht und klarmacht, wie wir uns diese Gesellschaft vorstellen und was es braucht, um dahin zu kommen. Nach unserer Auffassung sind für den Erfolg dieser Erzählung folgende Kapitel entscheidend:

Kapitel eins. Die schonungslose Aufarbeitung der Vergangenheit

Die SPD muss sich endlich vom neoliberalen Konsens lösen. Genau wir haben die Politik des harten europaweiten Sparkurses mitgetragen, statt zu investieren. Es war die Politik der SPD, die das Gefälle zwischen dem reichen Nordeuropa und dem armen Südeuropa vergrößert hat. Die globale Migrations- und Flüchtlingsbewegung bringt die Widersprüche des europäischen Teilhabeversprechens radikal zum Vorschein. Die Schere zwischen Arm und Reich wird Jahr für Jahr größer – ein Grund dafür ist die Agenda-Politik der SPD, aber auch die Unfähigkeit der Partei, diesen Trend durch eigenes Regierungshandeln abzumildern.

Die SPD hat sich nicht ausreichend für die Schwächsten der Gesellschaft eingesetzt. Wir haben, anstatt den Bruch mit der Agendapolitik anzukündigen, nur versucht daran herumzudoktern. Wir schufen uns ein neoliberales Korsett, in welchem die Phrase der sozialen Gerechtigkeit nur eine Farce blieb.

Die Sozialdemokratie muss sich der spezifischen Probleme unseres Kernklientels annehmen und sie auch nachhaltig angehen. Zudem darf eine inhaltliche Erneuerung nicht die gebrochenen Lebensbiografien und die Strukturschwäche Thüringens außer Acht lassen. Es wird endlich Zeit, dass wir diese Aufarbeitung vollziehen und die Konsequenzen daraus ziehen. Aus diesem Grund brauchen wir ein Grundsatzprogramm der Sozialdemokratie, das mit dieser Vergangenheit glaubhaft abschließt. Wir sind überzeugt, dass nur mit einer starken, linken SPD mehr gesellschaftliche Teilhabe, soziale Gerechtigkeit und progressive Gesellschaftspolitik möglich ist.

Der Neuanfang der SPD Thüringen von 2014 ist gescheitert. Vor allem die Thüringer SPD hat in den vergangenen Jahrzehnten keine sozialdemokratische Linie entwickeln können. Das bloße Auswechseln des Parteivorsitzenden hat nicht dazu geführt, dass Thüringer Sozialdemokrat*innen an einem neuen Profil gearbeitet haben. Der Landesvorstand hat keine Visionen für die Landespartei entwickelt. Die Thüringer SPD bleibt weiterhin schwach bei der internen inhaltlichen Auseinandersetzung, ihrer Kampagnenfähigkeit sowie in dem Vermitteln von Überzeugungen an die Bürger*innen.

Kapitel zwei. Der linke Gesellschaftsentwurf

Die Herausforderungen der internationalen Sozialdemokratie sind die Herausforderungen der Thüringer Sozialdemokratie und umgekehrt: Nur wenn wir hier vor Ort dazu beitragen, Wohlstand global gerecht zu verteilen, den digitalen Wandel der Arbeitswelt demokratisch zu gestalten und durch eine Mobilitäts- und Infrastrukturoffensive Menschen wieder näher zusammenzubringen, ermöglichen wir allen ein gutes Leben in Frieden und ohne Kompromisse. Ein neuer linker Gesellschaftsentwurf, der den Menschen eine Alternative zur bestehenden Ordnung bietet und eine klare Kampfansage an unsere Gegner*innen sind der Kern einer solchen neuen Erzählung.

Wir müssen wieder an unsere Tradition anknüpfen, uns auf unsere Herkunft, Zielgruppe und Verbündete besinnen. Die Sozialdemokratie hat die Aufgabe, bei den eigenen Mitgliedern und den Bürger*innen vor Ort für eine Gewerkschaftsmitgliedschaft werben. Ohne starke Gewerkschaften und eine starke SPD ist der Kampf für gute Arbeit nicht möglich. Die Konflikte in den Unternehmen und Betrieben dieses Landes müssen wieder zu unserem Anliegen werden. Daneben ist es die Aufgabe der SPD die Forderungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer politisch umzusetzen. Mit dem Beschluss des sozialpolitischen Leitantrags auf dem vergangenen Landesparteitag haben wir viele überzeugende Forderungen aufgestellt. Die darin enthaltenen Maßnahmen zur Stärkung der Arbeitnehmer*inneninteressen, zur Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Freizeit, für ein gerechtes Rentensystem und guter Bildung müssen die Richtschnur politischen Handelns in der rot-rot-grünen Regierung und in den kommunalen Parlamenten sein! Es ist höchste Zeit, dass sich auch Sozialdemokrat*innen in politischer Verantwortung dieser Forderungen annehmen und sie im politischen Tagesgeschäft umsetzen.

Vor uns stehen Kommunal- Europa-, und Landtagswahlen. Auf diese muss sich die Thüringer SPD inhaltlich vorbereiten. Insbesondere die Landtagswahlen müssen in den Fokus des SPD-Landesverbandes rücken. Wir glauben, dass thematische Perspektivforen aus dem Landesvorstand heraus unter Einbezug der Arbeitsgemeinschaften an dem inhaltlichen Fundament für die Landtagswahl arbeiten sollten. Nur so können wir unsere eigenen Mitglieder bei der Erarbeitung unseres Landtagswahlprogrammes besser einbeziehen und das Verhältnis zu unseren Bündnispartner*innen stärken.

Kapitel drei. Der Neuanfang

Das Engagement gut vernetzter und engagierter Mitglieder vor Ort spiegelt sich noch nicht ausreichend in der Arbeit des Landesverbandes wieder. In unseren Ortsvereinen, Kreisverbänden und Arbeitsgemeinschaften schlummert ein großes ungenutztes Potenzial, in dem unsere größte Chance für Thüringen liegt. Wir müssen die Basis mehr an den Entscheidungen teilhaben lassen. Die im Rahmen der Satzungsreform diskutierte Verkleinerung des Landesparteitages zielt dagegen in die völlig falsche Richtung. Insbesondere die Ortsvereine müssen wieder die Keimzelle sozialdemokratischer Politik werden, aber dafür brauchen die Genoss*innen vor Ort die Unterstützung der Partei. Daher ist ein immer wieder aktualisierter Referent*innenpool und eine hauptamtliche Betreuung durch die Landesgeschäftsstelle unabdingbar. Ortsvereine und Kreisverbände müssen die Möglichkeit haben, für ihre Veranstaltungen auch kostenfrei auf Expert*innen zurückzugreifen und regelmäßig mit Amtsinhaber*innen über Inhalte zu diskutieren. Mit mehr inhaltlichen Veranstaltungen vor Ort können wir mehr Akzente setzen und neue Mitglieder begeistern. Parallel dazu soll ein landesweites Bildungsprogramm vor allem durch weitere inhaltliche Seminare ergänzt werden.

Es bedarf einer Parteistruktur, die das Mitwirken neuer Gesichter ermöglicht und Neumitglieder nicht mit verkrusteten Strukturen und eingefahrenen Vorstellungen verschreckt. Wir wollen eine Volkspartei sein, welche die Vielfalt der Gesellschaft widerspiegelt. Wir wollen eine Partei sein, in der Schüler*innen und Studierende ebenso vertreten sind, wie Arbeiter*innen, Arbeitslose, Rentner*innen und Akademiker*innen. Die Sozialdemokratie ist für uns DIE politische Kraft für Frauen- und Migrant*innenrechte. Dabei wird die SPD Thüringen nicht ausreichend von Frauen und Migrant*innen repräsentiert. Menschen mit Migrationshintergrund sind im Landesvorstand der SPD so gut wie nicht vorhanden. Der Frauenanteil der Kabinettsmitglieder der SPD Thüringen liegt bei 25%. Fast alle Spitzenpositionen – wie Landes- und Fraktionsvorsitz sowie die Landesgeschäftsführung –  sind männlich besetzt. Für die Partei, die in ihrer Geschichte die großen frauenpolitischen Forderungen durchsetzen konnte, ist dies nicht hinnehmbar. Die SPD muss weiblicher werden. Im geschäftsführenden Landesvorstand ist niemand unter 40 Jahre alt. Dabei müssen wir als SPD ein klares Signal setzen. Wer eine Volkspartei sein möchte, muss alle Generationen in ihren Funktionen abbilden. Deshalb muss die SPD jünger werden. Wir glauben, dass vorgezogene Wahlen des Landesvorstandes der richtige Schritt sind, um einen Neuanfang zu beginnen. Bis dahin braucht die Partei Diskussionsforen. Deshalb begrüßen wir dezentrale Basiskonferenzen der SPD Thüringen, um über die Zukunft der Sozialdemokratie zu streiten.

Es ist an der Zeit, dass die Thüringer SPD wieder den Mut findet, sich fundamental inhaltlich, strukturell und personell zu verändern. Die Aufgabe des Landesvorstandes ist es, die Weichen für eine neue Erzählung zu stellen, die wir mit unseren Mitgliedern und den Menschen, die mit uns für eine andere, gerechte Gesellschaft kämpfen wollen, schreiben werden. Wir brauchen eine konsequente SPD, die den radikalen Kampf gegen den Kapitalismus anführt.

Oleg Shevchenko
Landesvorsitzender der Jusos Thüringen

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