Wir haben mit den Gewerkschafter*innen Philipp Motzke und Katharina Bolz von ver.di über die erfolgreichen Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst gesprochen.


Ein neuer Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst wurde ausgehandelt. Was die konkreten Ergebnisse?

Philipp: Die konkreten Ergebnisse sind äußerst komplex und fallen für die Kolleginnen und Kollegen recht unterschiedlich aus. Es gibt eine durchschnittliche Erhöhung von mind. 7,5% über eine Laufzeit von 30 Monaten. In bestimmten Entgeltgruppen ergeben sich bis zu 10% Steigerung. Jeder erhält mind. 175€ mehr. Jeder Beschäftigte muss sich selbst ein Bild darüber machen, da eine Pauschalauskunft hier nicht möglich ist. Für die Auszubildenden gibt es insgesamt 100€ mehr und auch endlich 30 Urlaubstage. Wichtig für den Osten schätze ich die Angleichung der Jahressonderzahlung auf das West-Niveau ein. Ebenfalls sehr gut ist der Abschluss für die Beschäftigten in der Pflege. Es gibt endlich 20% Nachtzuschlag und mehr Zusatzurlaub bei Wechselschichtarbeit. Ebenfalls gelungen ist endlich die Tarifierung bisher unbezahlter Ausbildungsberufe. Für Berufsanfänger im öffentlichen Dienst ist der Abschluss ebenfalls sehr gut, da die unteren und auch die Anfangsstufen deutlich erhöht wurden. Kritik gibt es bei der Laufzeit von 30 Monaten, allerdings haben die Arbeitgeber hier auf Stur geschaltet und hätten den guten Tarifabschluss wohl nicht angenommen bei einer kürzen Laufzeit. Die Arbeitgeber der Sparkassen haben sich ebenfalls dem Ergebnis fast verwehrt, hier wird wohl auch noch etwas nachverhandelt, angeblich ist die Kassenlage bei den Sparkassen bei einem Gewinn in 2017 von 2,2 Mrd. € wohl zu schlecht.

Was bedeutet das konkret für dich, Katharina?

Katharina: Für mich konkret bedeutet das als Beschäftigte im öffentlichen Dienst einen sehr guten Tarifabschluss. Ich glaube keiner von uns hätte mit einem so guten Ergebnis gerechnet. Normalerweise orientieren sich die Verhandlungen an den vorausgegangen Tarifverhandlungen der IG Metall, doch dieses Jahr war alles anders. Gerade die Angestellten des öffentlichen Dienstes in den ostdeutschen Bundesländern haben teilweise über Wochen hinweg mit Warnstreiks gezeigt, dass auch sie „es wert“ sind einen guten Abschluss zu erhalten. Ich bin immernoch überwältigt von dem Einsatz der Kolleg_innen vor Ort. Natürlich freue ich mich, dass mit dem guten Ergebnis auch unsere Arbeit ein Stück weit wertgeschätzt wird.

Wie haben deine Kolleg*innen auf die Ergebnisse reagiert?

Katharina: Meine Kolleg_innen waren total begeistert und erstaunt, dass das Ergebnis so gut ausgefallen ist. Damit hatte wie gesagt keiner gerechnet. Jedoch gibt es wie immer im Leben auch hier einen Kompromiss den wir in Kauf nehmen müssen. Die Laufzeit von 30 Monaten erschien vielen Kolleg_innen zu lang. Dennoch habe ich bis jetzt überwiegend positive Rückmeldungen bekommen, wie die Aussage „Endlich hat ver.di mal wirklich für uns gekämpft und sich nicht wieder unterbuttern lassen“. So etwas freut mich natürlich sehr.

All die Punkte die ihr gerade angesprochen habt, erreicht man doch nicht einfach so. Wie habt ihr euch als Gewerkschaft und als Belegschaft auf die Verhandlungen vorbereitet?

Philipp: Die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst laufen meist gleich ab. Es gibt im Vorfeld eine Befragung der ver.di Mitglieder im Bereich, was sie sich denn wünschen. Dabei wird auf die wirtschaftliche Entwicklung und Inflation geachtet. Auch schaut die ehrenamtliche Bundestarifkommission darauf und spricht kleine Empfehlungen aus. Die Ergebnisse der Befragungen werden erst im Bezirk (Thüringen) gesammelt und zusammengefasst aus den unterschiedlichen Bereichen des öffentlichen Dienstes. Danach passiert das gleiche nochmal auf Landesbezirksebene (Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen) und ebenfalls auf Bundesebene wo dann die Bundestarifkommission letztlich die Forderungen auf Grund der Befragung beschließt. Bis zu den ersten Verhandlungsrunden versucht man die Beschäftigten darauf vorzubereiten. Man hält Mitgliederversammlungen ab, man geht durch die Betriebe und versucht mit den ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen die Belegschaft zu motivieren und zu sensibilisieren auf die Themen. Dann geht es in die Mobilisationsphase, wenn sich abzeichnet, dass die Arbeitgeber auf Stur schalten und Warnstreiks hermüssen.

Katharina: Bei uns in der Stadtverwaltung Jena gibt es eine aktive Betriebsgruppe, die sich sehr engagiert. Man muss vor allem mit den Kolleg_innen in den Austausch kommen, sie informieren und darauf vorbereiten, was in der Dienststelle passiert. Eine gute Kommunikation ist oft ein Schlüssel zum Erfolg.

Wie sahen eure Aktion konkret in Thüringen aus?

Philipp: In Thüringen gab es mehrere Warnstreiktage in Erfurt und auch Jena. Dabei kam es zu Redebeiträgen und kleineren Demonstrationen.

Katharina: Bei uns in Jena war es konkret wie folgt: Einige Kolleg_innen waren auf der von Philipp angesprochenen Mitgliederversammlung und konnten mit anderen ver.di Mitgliedern diskutieren, was wir fordern können. Der Austausch geht immer heiß her, da ja jeder andere Vorstellungen von einem „guten Abschluss“ hat. Dann wurden wir von ver.di informiert, welche Forderungen die Bundestarifkommission beschlossen hat. Nach dem Diskurs bei der Mitgliederversammlung war ich persönlich von den Forderungen für die Erwachsenen etwas enttäuscht. Die Jugendforderungen fand ich dafür echt spitze.
Dann ging es in die Mobilisierungsphase. Bei uns in Jena lief es so ab, dass unsere ver.di Betriebsgruppe sich regelmäßig getroffen hat und kleine Aktionen geplant und vorbereitet hat. Wir wollten zunächst die Beschäftigten informieren. Das ist in unserer Branche das schwerste, da wir alle über die gesamte Stadt verteilt beschäftigt sind. Dennoch haben wir probiert, verschiedene Aussagen in den verschiedenen Dienstgebäuden auf unterschiedliche Weise anzubringen -mal an Treppen, mal auf Toiletten mal an Türen. Dies sollte die Kolleg_innen zum Reden anregen. Sie sollten erkennen, dass Tarifverträge nicht vom Himmel fallen.
Danach ging die Warnstreikplanung in Jena los. Wir haben am dem Freitag vor der letzten Verhandlungsrunde ausgewählt, um den Druck noch einmal zu erhöhen. Streiken ist immer eine spannende Sache, da man dann ganz aktiv etwas für einen guten Abschluss machen kann.

Gibt es Punkte die euch fehlen? Wo ihr noch mal Druck aufbauen müsst?

Katharina: Naja, das ist so eine Sache, mir fallen spontan schon ein paar Dinge ein, die sich die Kolleg_innen wünschen würden, ich will aber auch nicht auf hohem Niveau meckern. Natürlich sollte auch künftig darauf geachtet werden, dass der öffentliche Dienst nicht unattraktiv für junge Menschen wird. Die Privatwirtschaft hat uns in vielen Punkten schon lange überholt. Viele Unternehmen zahlen gerade den Berufseinsteigern oft ein besseres Gehalt oder bieten bessere Zusatzleistungen an und bieten von vorn herein gute Entwicklungschancen an. Gerade im Hinblick auf dem Demographischen Wandel wünsche ich mir, dieses Thema nicht aus den Augen zu verlieren. Der jetzige Abschluss hat da schon einen Schritt in die richtige Richtung gemacht.
Auch verlangen viele ältere Kolleg_innen eine gute Altersteilzeitregelung, die den Übergang vom Berufsleben hin zur Rente/ Pension erleichtert.
Wofür viele jüngere Kolleg_innen auch künftig kämpfen würden, wäre die Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit von 40h auf maximal 38h bei vollem Entgeltausgleich. Gerade auf der Sachbearbeiterebene arbeiten auch heute noch viele Frauen, die besonders auf eine ausgeglichene „Work-Life-Balance“ achten. Eine Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit würde da am meisten helfen. Viele Kolleg_innen haben gerade bei der Forderungsfindung gesagt, dass sie sogar auf Entgeltprozente komplett verzichten würden, wenn die Reduzierung der Arbeitszeit bei vollem Entgeltausgleich als Forderung formuliert wird. Jedoch ist dies ein sehr dickes Brett, was wir in der Zukunft zu bohren haben. Aber auf diese Forderung freue ich mich schon heute.
Auch beim Thema „sachgrundlose Befristung“ sollte künftig nachgesteuert werden. Dies betrifft oft Kolleg_innen im Sozial- und Erziehungsdienst, wo die Personaldecke eh schon dünn ist. Die Kolleg_innen leisten täglich eine gute Arbeit und sollten nicht um ihre Stellen bangen müssen.

Eine Verständnisfrage – gilt der Tarifvertrag für alle Beschäftigten oder gibt es da Ausnahmen?

Philipp: Ein Tarifvertrag gilt laut Tarifvertragsgesetz immer nur für die Mitglieder der abschließenden Gewerkschaft. Also rein theoretisch steht es nur den Gewerkschaftsmitgliedern (ver.di, GEW, GdP, IG BAU) zu von dem Tarifvertrag zu profitieren. Allerdings kann der Arbeitgeber über eine Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag allen Beschäftigten den Tarifvertrag und die Leistungen geben. Denn wenn er nur den Gewerkschaftsmitgliedern das zahlen würde, dann wären ja alle in der Gewerkschaft! Wer also von den Beschäftigten unzufrieden mit dem Tarifabschluss ist, kann gerne in die Personalabteilung gehen und eine Änderung im Arbeitsvertrag erwirken, bei der der Bezug zum Tarifvertrag rausfällt.

Was erwartet Ihr, als Gewerkschaftler*in von der Politik?

Philipp: Ich erwarte so viel von der Politik, deswegen nur ein Beispiel. Bei der Rehaklinik in Bad Langensalza streiken die Kolleginne und Kollegen seit mehreren Monaten für einen Tarifvertrag. Der Konzern hat eine Rechtanwaltskanzlei beauftragt die damit wirbt jeden Streik von ver.di und auch Tarifverhandlungen niederzuschlagen. Hier bewegt man sich in einer Grauzone bei der Koalitionsfreiheit. Da erwarte ich von der Politik, dass sie sich mit einmischt und als Mediator fungiert. Und ich erwarte Solidaritätsbekundungen.

Katharina: Ich als Gewerkschafterin kann mich Philipp da nur anschließen. Solch ein Handeln wie das des Konzerns in Bad Langensalza versucht Gewerkschaften zu schädigen, was ich beim besten Willen nicht verstehen kann. Die Politik könnte hier eingreifen oder zumindest versuchen zu vermitteln.
Für mich als Beschäftigte im öffentlichen Dienst ist die Politik ein wesentlicher Bestandteil meiner Arbeit. Die Politik gibt uns mit den Gesetzen und Verordnungen die Rahmenbedingungen unseres Handelns vor. Damit kann sie natürlich aktiv in unserer Branche mitgestalten. Der öffentliche Dienst hat ja immer noch den Ruf, dass die Beschäftigten für wenig Arbeit viel Geld verdienen. Diese Klischees kenne ich seit meinem dualen Studium im öffentlichen Dienst selbst zu gut. Die Realität in den Dienstgebäuden sieht jedoch heute anders aus. Durch permanenten Stellenabbau und Sparmaßnahmen sind viele Kolleg_innen völlig überlastet – Vorgänge bleiben dadurch z.T. Tage oder Wochen liegen. Die Politik kann aktiv an einer Verbesserung der Arbeitsbelastung und des Images arbeiten, was sie aber bislang nur mäßig wahrnimmt.

Wenn ihr in einem Satz die Bedeutung von Gewerkschaften erklären müsstet, wie würde der lauten:

Philipp: 40-Stunden-Woche, Urlaub, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Mindestlohn, Mitbestimmung im Betrieb und Tarifverträge – all das und viel mehr würde es ohne Gewerkschaften nicht geben. Deswegen „Mehr von uns ist besser für alle!“

Katharina: Gewerkschaft bedeutet für mich miteinander Arbeitsbedingungen zu verbessern, solidarisch zu sein und einen zuverlässigen Partner an meiner Seite zu haben, wenn es im Arbeitsleben mal schwierig wird, auch wenn es jetzt kitschig klingt aber ganz nach dem Motto: „Einer für alle, alle für einen.“


Unsere Interviewpartner*innen:

Katharina Bolz
Jahrgang: 1990
2011 – 2014 duales Studium BWL, Fachrichtung Management in öffentlichen Unternehmen und Einrichtungen an der BA Gera; 2014 von der Stadtverwaltung Jena übernommen
ver.di-Mitglied seit 2014, Mandate für ver.di: Vorsitzende des Ortsvereinsvorstands Jena/Saale-Holzland-Kreis, Mitglied im Bezirksvorstand, Mitglied im Bezirksjugendvorstand Thüringen, Erstatzmitglied der Bundestarifkommission Jugend für den öffentlichen Dienst (Fachbereich 7) für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, DGB-Teamerin

Philipp Motzke
Jahrgang: 1985
gelernter Gesundheits- und KrankenpflegerBachelor in Soziologie und Politikwissenschaft
Gewerkschaftssekretär bei ver.di seit 2015

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